Aufbrüche der Medienphilosophie

Jahrestagung der AG Medienphilosophie der GfM in Kooperation mit der AG Philosophie der Digitalität der Deutschen Gesellschaft für Philosophie am 10. Oktober 2025 an der Folkwang Universität der Künste Essen im SANAA-Gebäude auf Zeche Zollverein

Deadline für Einreichungen: 31. März 2025

Seit ihrer Gründung vor mehr als zwei Dekaden befindet sich die Medienphilosophie derzeit in einem Umbruch. Als kritische Diskurspraxis hat sie entscheidend dazu beigetragen, dass heute ganz selbstverständlich nicht mehr bloß von Massen- oder Basismedien die Rede ist, sondern von epistemischen Zugängen wie Übertragen, Prozessieren, Speichern oder von Medialität, Materialität, Performativität, Reflexivität und Operativität. Dass all dies in der Medianarchäologie, künstlerischen Forschung, den Epistemologien ästhetischer Praktiken und in medienpragmatischen und medienanthropologischen Ansätzen Einzug gefunden hat oder in operative Ontologien gemündet ist, zudem mittlerweile in den Curricula der Medienwissenschaften und an Kunsthochschulen selbstverständlicher Teil ist und auch international diskutiert wird, kann als Errungenschaft und Erfolg der „German Media Theory“ gelten.

Unbestreitbar gibt es aber auch Anzeichen einer Krise: Zwischenzeitlich sind wesentliche Impulse für die Medien- und Kulturwissenschaft von anderen Wissensfeldern und Technischen Entwicklungen ausgegangen, etwa von der Auseinandersetzung mit dem Anthropozän, den Post-Colonial Studies, den Science and Technology Studies (STS), den Affekttheorien, der Geschlechterforschung und den Digital Humanities, sowie von Fragen zu den sozialen, ökonomischen und ökologischen Implikationen und Konsequenzen der Künstlichen Intelligenz und den digitalen Plattformen. Hinzu kommt, dass die Medienphilosophie, die auf phänomenologischen sowie poststrukturalistischen und dekonstruktiven Ansätzen der französischen Philosophie des 20. Jahrhundert aufbaut, mittlerweile unter den Generalverdacht eurozentristischen und kolonialistischen Denkens sowie einer konzeptionellen Beliebigkeit geraten ist, sodass die scheinbare Unverbindlichkeit jener Konzepte für die derzeitige Krise des sozialen Zusammenhalts mitverantwortlich gemacht wird. Als Kind des Differenzdenkens gerät die Medienphilosophie damit ins Hintertreffen, wird als abseitig oder zu kompliziert abgetan oder als ein Diskurs betrachtet, der sich selbst in die Peripherie manövriert und quasi als eine Art Dekadenzerscheinung vergangener Dekaden, die den dringenden Herausforderung der Gegenwart nicht mehr gewachsen ist.

Versteht man aber Medienphilosophie als einen eigenständigen, offenen und reflexiven Zugang zur Problematik des Verstehens von, mit und in Medien, so gehört es zur Medienphilosophie, auch die eigene Krise nicht nur auf den Begriff, sondern auch in verschiedenen Medien zum Ausdruck zu bringen. Dass es sich nämlich nicht um einen auslaufenden Forschungstrend und damit um eine „vorübergehende Sache“ handelt (Martin Seel), sondern um eine kontinuierliche, ja radikal experimentelle Arbeit an Begriffen, Konzepten, Medien und Praktiken, ist eine der zentralen Interventionen und Diskursstrategien der Medienphilosophie. Einer der Unterschiede zur Medientheorie besteht darin, dass für das zu beschreibende Phänomen nicht mehr von einem feststehenden Referenzrahmen ausgegangen wird, sondern Begriff, Methode, Objekt und Bezugsrahmen erst aus der Konstellation hergestellt werden. Sybille Krämer hatte dies einst als Konstitutionsfrage der Medialität formuliert: „Wie kann ›Konstitution‹ im Zusammenhang mit Medialität so gefasst werden, dass dabei ein Medienapriorismus zugleich vermieden wird?“ Ein solcher Ansatz vermeidet, mediale Phänomene bloß zu beschreiben sowie Kontexte und Referenzrahmen auszublenden, sondern bindet diese Phänomene und Praktiken an eine Ideengeschichte zurück, nimmt darauf kritisch Bezug und leistet Begriffs-, Ton-, Bild-, oder je nach medialer Couleur etwa auch Netzwerkarbeit. Medienphilosophisches Arbeiten geht also nicht vom Medium aus, sondern von medialen Funktionen, materiellen und körperlichen Zusammenhängen, performativen Vollzügen, operativ hergestellten Wirklichkeiten und reflexiven Bezügen. Ja, selbst die so griffige wie scheinbar evidente epistemische Triade von „Übertragen, Prozessieren, Speichern“ steht dann in Frage. Diese höchst anspruchsvolle und kreative Arbeit bezieht wesentliche Impulse aus der Ontologie, Epistemologie, Ethik, Ästhetik und Politik, befragt zugleich aber auch deren Grundlagen. Was sind die medialen Bedingungen des Wissens? Was für ein Mediendenken ermöglicht überhaupt politisches Handeln? Was sind die materiellen Grundlagen ethischer Beziehungen? Während die erste Generation der Medienphilosophie Anfang der 2000er Jahre ontologisch nach dem „Was“ der Medien gefragt hat, ging es in der Folge des performative turn sehr schnell um das “Wie”, die Medialität, die Eigenlogiken von Medien, sowie um eine Hinwendung zu Medienpraktiken und deren Effekten, ethisch und politisch.

Mit “Aufbrüche der Medienphilosophie” als Tagungsthema 2025 möchten wir auf die Gründungsphase der Medienphilosophie zurückschauen  und die heutige Krise der Medienphilosophie besser verstehen. Der Titel “Aufbrüche der Medienphilosophie” signalisiert einerseits Initiationen ins noch Unbekannte durch Exploration gänzlich neuer Forschungsgegenstände, andererseits neue Perspektiven auf vermeintlich gesichertes Wissen. Was motivierte die Aufbruchsstimmung in der Gründungsphase der Medienphilosophie in den 1990er und frühen 2000er Jahren und was zeichnet die Krise der Medienphilosophie heute aus? Um diesen Fragen nachzugehen, veranstalten wir einerseits ein Panel mit Vertreter:innen, die zur Gestaltung der Medienphilosophie wesentlich beigetragen haben. Für diese Paneldiskussion haben Sybille Krämer und Dieter Mersch bereits zugesagt. Andererseits laden wir zu Beiträgen ein, die die Krise der Medienphilosophie diagnostisch befragen.

Seit ihrer Gründung sind mehr als zwanzig Jahre vergangen und ein Generationenwechsel ist mit Übersetzungen, neuen Herausforderungen, Technologien und Formen des Vergessens konfrontiert. Für die Reflexion auf die Krise der Medienphilosophie möchten wir die internationale Perspektive auf die „German Media Theory“ genauso mit aufnehmen, wie aktuelle Ansätze in der Postphänomenologie und den neuen Humanismen, sowie die Diskussionen in anderen Disziplinen, wie etwa den Sozial- und Politikwissenschaften, der Philosophie des Digitalen, den Games Studies, der KI- und Plattformforschung, der Philosophie, Ästhetik, Psychoanalyse und Theologie, aber auch neue Formen des medienphilosophischen Denkens, etwa in Form des kollaborativen Arbeitens.

Die eintägige Tagung findet am 10. Oktober 2025 an der Folkwang Universität der Künste Essen im SANAA-Gebäude auf Zeche Zollverein statt und es sind alle Forschende und Nachwuchswissenschaftler:innen eingeladen, ein Abstract (ca. 300 Wörter) für einen 15-minütigen Beitrag sowie eine Kurzbiografie (ca. 100 Wörter) einzureichen. Gemeinsam möchten wir über die Ursprünge und Krisen der Medienphilosophie sprechen. Reise- und Übernachtungskosten werden vorbehaltlich der Finanzierung erstattet.

Einreichungen bis 31.03.2025 an aufbrueche2025@gmail.com

Rückmeldungen zur Auswahl bis 15.04.2025

AG Sprecher:innen:

Dr. Johannes Bennke ist Post-Doc Fellow am Program for Hermeneutics and Cultural Studies der Bar-Ilan University (Tel Aviv) und forscht zur Zukunft der Archive in dezentralen Netzwerken, Medien des Vertrauens, Epistemologie der Protokolle und Ästhetik der Generativität. Promotion an der Bauhaus Universität Weimar über Medienphilosophie und Ästhetik nach Emmanuel Levinas. Forschungsschwerpunkte sind die Bild- und Medienphilosophie, Ästhetik, Ethik und (Post-)Phänomenologien digitaler Praktiken. Jüngste Publikationen: Gastherausgeber mit Mirjam Schaub von navigationen, “Media Cultures of Value: Economy, Politics, and Art in Web3” (Vol. 1, 2025), Mitherausgeber von Levinas und die Künste (mit D. Mersch; transcript 2024); Gastherausgeber communication +1, “Media of Verification” (Vol 10, 2023); Obliteration. Für eine partikulare Medienphilosophie nach Emmanuel Levinas (transcript, 2023) und Internationales Jahrbuch für Medien Philosophie. Mediality/Theology/Religion (mit  V. Brower; de Gruyter, 2021).

johannes.bennke@biu.ac.il

https://culture.biu.ac.il/en/node/1592

Prof. Dr. Markus Rautzenberg ist Professor für Philosophie an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Promotion an der Freien Universität Berlin zur Philosophie und Medientheorie der Störung. Forschungsprojekte zur „Non-visuellen Macht der Bilder“ und dem Verhältnis von KI und Spiel. Forschungsschwerpunkte: Medientheorie, Bildtheorie, Ästhetik, Philosophie des Computerspiels, Philosophie der Fotografie. Aktuelle Publikationen: Bild und Spiel. Medien der Ungewissheit, Paderborn 2020; Framing Uncertainty. Computer Game Epistemologies, Basingstoke 2020; zus. mit Daniel Martin Feige und Florian Arnold (Hg.), Philosophie des Designs, Bielefeld 2020.

markus.rautzenberg@folkwang-uni.de

https://www.folkwang-uni.de/home/hochschule/personen/lehrende/vollanzeige/personen-detail/prof-dr-markus-rautzenberg

Prof. Dr. Mirjam Schaub ist Professorin für Ästhetik, Philosophie und Kulturtheorie am Department Design der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Promotion an der Freien Universität Berlin zur Ereignisphilosophie und Theorie des Kinos in den Arbeiten von Gilles Deleuze. Neben ihrer akademischen Tätigkeit schrieb sie über Künstler:innen wie Janet Cardiff, Olafur Eliasson, Simon Starling, Markus Schinwald (Biennale catalog) und hat Künstlerporträts für das ZDF erstellt (zu Andreas Slominski, Matthew Barney, Hal Hartley, Slavoj Zizek). Sie war Mitglied des künstlerisch-wissenschaftlichen Graduierungsprogramms „Performing Citizenship“, eine Kooperation von HCU, HAW, Fundus-Theater und K3 (Kampnagel), das unter gleichem Titel bei Palgrave/Macmillan in 2018 erschienen ist. Sie entwickelt derzeit ein Treatment für eine 6-teilige Mystery Fiction Serie über Umberto Eco: „Ecomania. The Unbearable Lightness of Conspiracy.“ Außerdem arbeitet sie an einer Monographie über Kulturphilosophie: Smarte Radikalität. Eine Kulturphilosophie.

Mirjam.schaub@haw-hamburg.de

https://vorlesungsverzeichnis.design.haw-hamburg.de/ person/mirjam-schaub/

Kooperationspartnerinnen:

Dr. Alisa Kronberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (PostDoc) am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und assoziiertes Mitglied des SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten. Ihre medien-, kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschungsinteressen liegen vor allem im Bereich der (öko-)feministischen (Medien-)Theorien, der Medienökologie und -philosophie sowie im diskursiven Feld des Neuen Materialismus. In ihrem aktuellen Projekt beschäftigt sie sich mit einer Ausarbeitung einer kritisch-posthumanistischen Vertrauensethik. Gerade erscheinen folgende Publikationen: „Kritisch-Posthumanistische Nachhaltigkeit. Für eine Medienökologie der Verantwortung und Sorge”. In: Claudia Paganini, Lars Rademacher, Stefan Kosak, Vanessa Kokoschka (Hg.). Nachhaltigkeit in der Medienkommunikation. Ethische Anforderungen und praktische Lösungsansätze. Baden-Baden: Nomos, S. 55–69 sowie gemeinsam mit Patrizia Breil (Hg.). Eigensinnige Objekte. Virtuelle Möglichkeitsräume zwischen Aufforderung und Entzug. Bielefeld: Transcript (erscheint im März 2025).

alisa.kronberger@rub.de
https://ifm.rub.de/institut/personen/dr-alisa-kronberger/

Dr. Patrizia Breil ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (PostDoc) am SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten der Ruhr-Universität Bochum und leitendes Mitglied der DGPhil-AG Philosophie der Digitalität. Promotion an der Eberhard Karls Universität Tübingen zu phänomenologischen und bildungsphilosophischen Theorien entfremdeter Körperlichkeit. Forschungsschwerpunkte: Medienphilosophie, Philosophie der Digitalität, (Post-)Phänomenologie, Phänomenologie und Ethik des Virtuellen / der virtuellen Berührung. Aktuelle Publikationen: zs. mit Markus Bohlmann (Hg.), Postphenomenology and Technologies within Educational Settings, Lanham u.a. 2025, zs. mit Jörg Noller Gastherausgabe einer Topical Collection in Ethics & Information Technology: Ethics of VR (submission deadline: 31.07.25).

patrizia.breil@rub.de

https://www.virtuelle-lebenswelten.de/early-career-forum/breil-patrizia